Vom Ausland lernen …?

„In [Land] ist alles besser“ – so hört und liest man es sinngemäß oft, sowohl in Eisenbahnforen als auch in anderen Medien. Aber stimmt das wirklich? Ich habe mal versucht, die Aspekte zu beleuchten, die einzelne Länder zum Vorbild im Bahnbetrieb machen und festzustellen, ob diese auf Deutschland übertragbar sind.

Frankreich, Italien und Spanien

Vorbild: Vor allem Frankreich wird gerne als das europäische Musterland des Hochgeschwindigkeitsverkehrs dargestellt. Immerhin verkehrten hier die ersten HGV-Züge des Kontinents, und noch heute gibt es Züge, die zwei Stunden oder länger ohne Halt mit 300 km/h durchs Land zischen und dabei auch große Ballungsräume wie Lyon oder Marseille auslassen. Die Spanier haben später nachgezogen und ebenfalls jeweils ein landesweites HGV-Netz aufgebaut. Durch die Reservierungspflicht ist außerdem gesichert, dass niemand stehen muss. Da meist Punkt-zu-Punkt-Verbindungen angeboten werden, entfällt das lästige Umsteigen mit der Gefahr des Anschlussverlustes. In Italien kommt dazu, dass mit .italo ein Konkurrent der Staatsbahn in den HGV-Markt eingetreten ist, was einen Preiskampf zur Folge hatte.

Nachteile: So gut in diesen Ländern der Fernverkehr aussehen mag, so schlecht sieht es im Nahverkehr aus: viele Strecken abseits der großen Verkehrsströme werden nur einige Male pro Tag bedient, wenn sie nicht schon komplett stillgelegt sind. Wegen der Globalpreise (Fahrkarten mit integrierter Reservierung) im HGV müssen für den Nahverkehr in der Regel separate Fahrscheine gekauft werden. Wenn es einen passenden Direktzug nicht oder nicht in passender Zeitlage gibt, ist das Umsteigen noch umständlicher als in Deutschland: Meist muss man getrennte Fahrscheine kaufen, und in Paris muss man zeitaufwendig den Bahnhof wechseln. Die Reservierungspflicht bedeutet auch, dass an langen Wochenenden Züge schon lange im Voraus ausgebucht sind und dann überhaupt keine Möglichkeit der Mitfahrt mehr besteht.

Auf Deutschland übertragbar? Deutschland hat mehr als die doppelte Bevölkerungsdichte von Frankreich oder Spanien, zudem konzentrieren sich die Einwohner nicht auf einige wenige Zentren wie Paris oder oder Achsen wie Madrid–Barcelona oder Mailand–Rom. Mit den wenigen ICE-Sprintern gibt es bereits ein Angebot mit sehr wenigen Halten, mehr Züge dieser Art wären vermutlich nicht rentabel (oder scheitern am Fahrzeugmangel der DB). Deutsche Bahnkunden legen erfahrungsgemäß auch sehr viel Wert darauf, spontan fahren zu können. Mit einigen wenigen unvertakteten Verbindungen pro Tag wird man daher ebenso wenige Fahrgäste hinter dem Ofen hervorlocken können wie mit einer Reservierungspflicht, auch wenn diese vor und nach Feiertagen immer wieder gefordert wird.

Niederlande, Belgien und Schweiz

Vorbild: Diese Länder stellen sozusagen das Gegenstück zu den oben erwähnten HGV-Mekkas da: Alle Züge verkehren mit ungefähr gleicher Geschwindigkeit, im dichten Takt und mit abgestimmten Anschlüssen. Das Tarifsystem unterscheidet auch nicht zwischen Fern- und Nahverkehrszügen, alle Verbindungen können mit derselben Fahrkarte genutzt werden. Auch der ÖPNV ist ganz oder teilweise in den Tarif und das Taktgefüge integriert, so dass am die Reisekette nicht am Bahnhof endet. Eine Reservierungspflicht ist nicht nur unbekannt, Reservieren ist für nationale Züge sogar verpönt (Schweiz) oder unmöglich (Niederlande). Neubaustrecken werden so geplant, dass sie vor allem dem internationalen Verkehr dienen (Belgien, Niederlande), in den Taktfahrplan passen (Rothrist–Mattstetten in der Schweiz) oder den Güterverkehr von den Altstrecken abziehen (Betuwelijn in NL, Gotthard- und Lötschberg-Basistunnel in CH).

Nachteile: Die Geschwindigkeit ist relativ gering, was in den relativ kleinen Ländern aber keinen wirklichen Nachteil bedeutet. Das niederländische System der ÖPNV-Chipkarte ist für den Gelegenheitsfahrer, vor allem aus dem Ausland, umständlich und teuer.

Auf Deutschland übertragbar? Die Niederlande (und das Mittelland der Schweiz) haben die doppelte Bevölkerungsdichte von Deutschland, das außerdem fast neunmal so groß ist. Trotzdem wäre ein bundesweit einheitlicher Taktfahrplan, in den auch Hochgeschwindigkeitsstrecken integriert werden, vermutlich möglich. Eine Studie dazu wird von der Initiative → Deutschland-Takt vorbereitet. Vieles scheitert hier am politischen Willen: Die rechtliche Trennung zwischen Nah- und Fernverkehr müsste aufgehoben werden und es müsste mehr Geld in die Schieneninfrastruktur fließen. Auch eine Integration der verschiedenen Tarife wäre theoretisch denkbar, liegt aber praktisch wegen der Unmenge der beteiligten Aufgabenträger noch in weiter Ferne. Erste Schritte hierzu sind aber mit Ländertickets und City-Ticket bereits gemacht. Auch in der Vertaktung von Fern- und Nahverkehr und ÖPNV hat sich in den letzten Jahren hier sehr viel getan.

Großbritannien

Vorbild: Wegen der anfänglichen Nachteile der Privatisierung wird Großbritannien heute in den deutschen Medien eher als Negativbeispiel dargestellt. Seit das Netz aber wieder in staatlicher Hand ist, scheinen aber zumindest die technischen Mängel, die leider zu einigen tödlichen Unfällen geführt haben, wieder abgenommen zu haben. Weiterhin positiv hervorzuheben wäre die völlige Trennung von Netz und Betrieb: Alle Fahrpläne (sogar von Güterzügen) sind zentral online abrufbar, auch die Fahrscheine können bei einer zentralen Stelle gekauft werden und sind ggf. auch bei mehreren der vielen EVU gültig. Diese müssen nicht zwangsläufig Profit machen, sondern können bei Bedarf auch Subventionen für die vertraglich vereinbarten Leistungen bekommen. Die Trennung zwischen Nah- und Fernverkehr gibt es auch hier nicht.

Nachteil: Das Tarifsystem ist deutlich komplizierter als das der DB: Neben dem sehr hohen Normalpreis gibt es eine Vielzahl von Sonderangeboten, die zum Teil nur zu bestimmten Uhrzeiten, zum Teil auch nur mit Zugbindung (dann allerdings mit automatischer Reservierung) gelten. Wenn man sich aber auf einen bestimmten Zug festlegen kann, ist die Buchung wiederum relativ einfach.

Auf Deutschland übertragbar? Auch hier ist es eine Frage der Politik, die sich bei der Bahnreform offenbar nicht richtig zwischen freiem Wettbewerb und staatlicher Lenkung entscheiden konnte. Fragen, die daher in Deutschland heiß diskutiert werden wie die Trennung von Netz und Betrieb oder von Nah- und Fernverkehr sowie die Aufnahme von Wettbewerbern in die DB-Auskunft, sind auf der Insel schon lange – meistens zugunsten der Fahrgäste – beantwortet. Ob der derzeitige Zwischenzustand nun in Richtung „mehr Wettbewerb“ verlassen werden soll, ist letztendlich Geschmackssache – aber wenn ja, dann so wie in Großbritannien!

Japan

Vorbild: Außerhalb Europas ist wohl Japan das Bahnland überhaupt. Leider war ich selber noch nicht dort, habe aber nur Positives gehört: Die Shinkansen-Züge verkehren im dichten Takt, wobei es verschieden schnelle Züge gibt und die langsamen während ihrer Verkehrshalte von den schnellen überholt werden. Das Ganze in einem dichten Takt, ohne Reservierungspflicht hochzuverlässig und zu ähnlichen Preisen wie dem deutschen Normalpreis.

Nachteil: Nach dem, was ich gehört habe, gibt es kaum Ermäßigungsmöglichkeiten, so dass eine Fahrt relativ teuer ist. Abseits der Shinkansen-Strecken sucht man schnelle und moderne Züge wohl vergeblich.

Auf Deutschland übertragbar? Auch hier spielt wieder die Bevölkerungsdichte eine Rolle, die in Japan (wie auch die gesamte Einwohnerzahl) anderthalb mal so groß ist wie in Deutschland. Außerdem konzentriert sich hier der Verkehr auf eine Hauptachse, die es hierzulande so nicht gibt. Aber auch hier scheint vieles am politischen Willen bzw. den vorhandenen Finanzmitteln zu liegen, HGV-Strecken überhaupt zu bauen und sie dann auch zu unterhalten.

Fazit

Meines Erachtens ist das Problem, dass Deutschland sich nicht entscheiden kann, welchem der genannten Länder es nacheifern will. Das hat zum Teil geografische Gründe, zum Teil aber auch politische. Für mich ist es wichtig, dass die Gesamtreisekette stimmt: Schnell darf es gerne sein, aber eine HGV-Strecke nützt wenig, wenn man nach deren Ende durch einen überlasteten Knoten schleichen oder 57 Minuten auf den Anschlusszug warten muss. Alle genannten Länder haben sinnvolle Ansätze, aber meines Erachtens haben die Schweiz und die Niederlande die besten Ansätze. Will man diese auf Deutschland übertragen, muss man Abstriche für die Bedienung der Fläche machen und gleichzeitig im Fernverkehr mehr auf (Hoch-)Geschwindigkeit achten. Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich mir wohl einen einzigen Aufgabenträger wünschen, der Tarife, Infrastruktur und Fahrpläne für das ganze Land koordiniert und dafür mit einer soliden finanziellen Basis ausgestattet ist. Was man unbedingt auch übernehmen sollte, wären die → Fahrplanverfahren der Schweiz, bei denen die Nutzer schon frühzeitig am Planungsprozess beteiligt werden und auch eine Rückmeldung bekommen, warum bestimmte Anregungen nicht umgesetzt werden können.

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